Der Neusiedlersee
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Der geschmolzenen Flut unbeweglicher Spiegel
Wird von dem flachen, dem tropischen Tiegel
Wie ein Luftgebilde umfaßt.
Weit lagert am Fluß der bühligen Treppe
Im schleppenden Tag die wäßrige Steppe,
Als Österreichs seltsamer Gast.
Von Röhricht hat er um sich geschlagen
Den meilendicken, den borstigen Kragen
Zum Schutz der gefährdeten Brust.
Kein Hauch kann vom Leithagebirge fächern
Kein Laut von Margretens storchstrohigen Dächern
Und auch nicht die Glocke von Rust.
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Die Röhrichtreiche geheim umklammern
Schatzinseln und Tümpel und Vorratskammern,
Smaragd-malachitnes Getier.
Aus dem trunken unkenden Rohrgefabel
Aufflattert ein weißlicher Löffelschnabel
Wie im Winde zerfetztes Papier.
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In des Neusiedlersees schilfpelziger Krause
Ist der hohe Mittag der Welt zuhause,
Hier hat er Wohnung und Staat.
Wenn die Reiher ihr Höhensteuer stellen,
Tritt er, dieweil ihn Frösche umgellen,
In einer Wolke von Geist-Libellen
Träg in das sandige Bad.
Franz Werfel hat in einem Gedicht den Neusiedler See wegen seiner Einzigartigkeit "Österreichs seltsamsten Gast" genannt.
Werden auch Sie unser Gast, in unserer einzigartigen, so vielfältigen, Kultur, Natur und Erlebnislandschaft.
Franz Werfel
*10.9.1890 in Prag;
† 26.8.1945 in Beverly Hills.
Gedicht aus der Sammlung Unruhe